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Gelingt der Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft?

Ressourcen wiederverwenden, statt sie zu entsorgen – das ist die Kernidee des zirkulären Wirtschaftssystems. Wie kann der Umstieg im Bausektor gelingen und wo harzt es noch?

Unser heutiges Wirtschaftssystem ist linear ausgerichtet. Ressourcen werden abgebaut, Güter daraus hergestellt und nach meist kurzer Nutzung entsorgt. Dieses System ist alles andere als nachhaltig: Es verschleisst viel mehr Ressourcen, als die Erde bereitstellen kann. Zudem führt es zu erheblichen Umweltbelastungen durch Treibhausgasemissionen, Flächenverbrauch und Verschmutzung. Einen Gegenentwurf liefert die Kreislaufwirtschaft. Sie basiert auf der Idee, Ressourcen zu schonen und Abfälle zu vermeiden, indem Rohstoffe wiederverwertet und damit zurück in den Kreislauf geführt werden. So ist es nicht nötig, immerzu neue Ressourcen erschliessen und Abfälle entsorgen zu müssen.

Recycling läuft – aber nicht überall
Kreislaufwirtschaft wird zumindest teilweise in der Praxis bereits betrieben. Das Recycling von Metallen und gewissen Kunststoffen beispielsweise zählt hierzulande schon beinahe zum Kulturgut. Durchgesetzt haben sich solche Lösungen vornehmlich bei Ressourcen, bei denen sich die Wiederverwertung finanziell lohnt. Gemäss einer Untersuchung der Empa sind es im Baubereich insbesondere die mineralischen Stoffe, die einen hohen Recyclinganteil erreichen (siehe Grafik). Demgegenüber landen brennbare Materialien, Holz, Keramik, Gips und Glas am Ende ihrer Lebensdauer oft in der Kehrichtverbrennung oder auf einer Deponie. Hier gilt es, die Recyclingquoten zu erhöhen und neue Ansätze für die Wiederverwendung zu entwickeln.

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Während mineralische Baustoffe in der Schweiz heute bereits weitgehend recycelt werden, besteht bei brennbaren Materialien wie Holz sowie bei Keramik, Gips und Glas noch viel Luft nach oben. (Grafik: Empa)

Planungsphase entscheidend
Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft geht aber über das Recycling von Baumaterialien hinaus. Das grösste Potenzial liegt nämlich nicht am Ende der Lebensdauer von Gebäuden – wenn sie rückgebaut werden –, sondern bereits am Anfang des Planungsprozesses. «In der Ausschreibung von Bauvorhaben wird über den Einsatz von und den Umgang mit Ressourcen entschieden», sagt Marloes Fischer, CEO von Circular Hub, einer Beratungsfirma im Bereich der Kreislaufwirtschaft. «Das ist der Zeitpunkt im Lebenszyklus eines Gebäudes, in dem der grösste Hebel für eine kreislauffähige Ausrichtung liegt.» Fischer zufolge haben erste Akteure bereits begonnen, in ihren Projekten die entsprechenden Weichenstellungen vorzunehmen. Es brauche aber deutlich mehr Kooperation und Austausch, um die Erfahrungen aus den Bauprojekten weiterzugeben. «Nur so kann das nötige Know-how über die gesamte Wertschöpfungskette aufgebaut und transferiert werden.»

Zu wenig Dynamik
Eine grosse Hürde zur schnelleren Etablierung einer Kreislaufwirtschaft im Schweizer Bauwesen ist die föderalistische Ausrichtung. Während andere Länder wie die Niederlande, Dänemark, Österreich und Deutschland nationale Strategien in Form von Grenzwerten implementieren und mit Anreizen die Umsetzung zirkulärer Konzepte fördern, fehlt es hierzulande an einer einheitlichen Strategie und dem erforderlichen Tempo. Die Teilrevision des Umweltschutzgesetzes geht gemäss Fischer zwar in die richtige Richtung – aber sie dauert sehr lange, während die Zeit eigentlich drängt.

SVIT Kongress im KUK Aarau © Patric Spahni

Marloes Fischer ist CEO des Beratungsunternehmens «Circular Hub». (Foto: SVIT)

Know-how aufbauen
Nebst regulatorischen Hemmnissen fehlt es auch noch an Instrumenten und Hilfsmitteln für Unternehmen, die den Weg in Richtung Zirkularität beschreiten möchten. So sind beispielsweise die Anforderungen an die Planung, die Umsetzung und das Reporting komplexer geworden. Ein branchenweites Verständnis darüber, was Kreislaufwirtschaft in der Praxis genau bedeutet, gibt es jedoch noch nicht. Wie misst man Zirkularität? Welche Daten braucht es dafür? Wie werden Produkte rückverfolgbar? «Die Antworten auf solche Fragen kann der Markt liefern, indem er anhand konkreter Projekte Erfahrungen sammelt», ist Fischer überzeugt. «Diese Erfahrungen gilt es dann zu teilen und so aufzuarbeiten, dass Fachgremien daraus entsprechende Standards erarbeiten können.»

Neue Geschäftsmodelle
Eine positive Entwicklung punkto Zirkularität ist bei der Produktpalette feststellbar. In den vergangenen Jahren haben innovative Schweizer Unternehmen verschiedene kreislauffähige Baustoffe entwickelt und auf den Markt gebracht, die auf natürlichen Rohstoffen wie Hanf oder Lehm basieren. Neu gibt es auch Produkte und Gebäudeelemente, die als Dienstleistung angeboten werden und wieder ausgebaut werden können, wenn man sie nicht mehr benötigt. Dies erlaubt es, die Produkte länger und effizienter zu nutzen, was die Rohstoffreserven schont und den Abfall reduziert. Daneben sei dies aber auch ein attraktives Geschäftsmodell, sagt Marloes Fischer. «Wer Produkte so designt, dass sie statt einmal in mehreren Zyklen nutzbar sind, ist mit Blick auf die Zukunft gut aufgestellt. Den Platz von Verkaufsmodellen werden immer häufiger Miet- und Dienstleistungsmodelle einnehmen.»

Zum Video Hanf statt Beton

Mehr Unterstützung
Hilfreich für zirkuläre Konzepte dürfte die ab 2024 geltende Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sein (ESG-Reporting). Sie rückt die graue Energie in den Fokus, die zum Beispiel bei der Herstellung von Produkten sowie beim Bau und Rückbau von Immobilien anfällt. Auch bei den Hilfsmitteln sind Fortschritte zu verzeichnen. Anfang 2024 werden die Leitlinien «Zirkularität messbar machen» publiziert, eine Vorbestellung ist bereits möglich. Sie helfen der Bauherrschaft, quantifizierbare Spezifikationen in die Ausschreibung aufzunehmen. Anders formuliert: Sie können ihre Vorgaben zur Kreislaufwirtschaft nun systematisch einbringen und einfordern. Eine wichtige Unterstützung bieten auch die digitalen Marktplätze Useagain und Salza sowie die Plattform Madaster, mit der sich die in einem Gebäude verbauten Materialien dokumentieren lassen.

Informieren und sensibilisieren
Zirkuläre Konzepte bedeuten nicht zwingend, dass man die Welt neu erfinden muss. Wichtiger ist es, Transparenz zu schaffen über die heute bereits bestehenden Lösungen und wie sie dazu beitragen, Kreisläufe zu schliessen. Es gibt durchaus schon Baupraxen, die bis zu einem gewissen Grad zirkulär sind. Nun gilt es, für solche Konzepte zu sensibilisieren und ein Bewusstsein zu schaffen, wie wichtig sie sind. Gefragt sind letztlich die handelnden Personen in der Branche – von den Bestellern über die Planenden bis hin zu den Baufachleuten. «Ihre Aufgabe ist es, die nötigen Innovationen in die bestehenden Prozesse einzubauen», sagt Fischer. «Das erfordert Mut und neues Denken.»


Veranstaltungen an der Swissbau 2024
Die Kreislaufwirtschaft und zirkuläre Konzepte sind Thema an verschiedenen Veranstaltungen der kommenden Swissbau:

Use Case Management: Kreislaufwirtschaft konkret
Bauen digital Schweiz / Building Smart Switzerland

Keine Kreislaufwirtschaft ohne digitale Bauindustrie
Branch To Tank

Kreislaufwirtschaft auf dem Prüfstand – welche Geschäftsmodelle funktionieren?
SIA, Bauen digital Schweiz / Building Smart Switzerland

Neue Ideen für die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft
FHNW, HSLU u. w.

Der Weg in die Kreislaufwirtschaft – aktuelle Initiativen und Instrumente
Minergie, SNBS, Bauenschweiz

Wärmepumpen und Fassaden im Kontext Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft
SIA

World Café mit neuen Ideen für die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft
Circular Hub, FHNW, HSLU u. w.

Circular Construction Catalyst 2023
CRB, SIA, Bauenschweiz

Kreislaufdenken in der Bau- und Immobilienbranche
SwissPropTech

Kreislauf im Bau: Heute bereits erfolgreich umsetzen!
NEST, Switzerland Innovation Park Central

Materialwahl in Zeiten der Klimakrise
FHNW

Der Gebäuderessourcenpass: das neue Must-have für zirkularitätskonforme Gebäude
SGNI

Gemeinsam gestalten wir eine kreislauffähige Zukunft – mit Beton als unserem starken Fundament!
BETONSUISSE

Auf dem Weg zum zirkulären Bauen - Digitales Ökosystem als Schlüssel
SIA, Bauen digital Schweiz / Building Smart Switzerland, Swissbau