Nachgefragt Swissbau 2024

ESG-Reporting betrifft auch Schweizer Firmen

Die neuen Regeln der EU zum Thema ESG sind auch für die hiesige Immobilienbranche relevant. Wer Räume an Unternehmen mit Sitz in der EU vermietet, muss diesen gewisse Messdaten zur Verfügung stellen können. Wir zeigen, wie man das Thema am besten angeht.

Seit einigen Jahren setzt die EU verschiedene Instrumente ein, um die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern. Ein Beispiel dafür ist die seit 2022 geltende EU-Taxonomie, die nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten klassifiziert. Ab dem 1. Januar 2024 tritt eine weitere Regulierung in Kraft, die «Corporate Sustainability Reporting Directive» (CSRD). Diese Richtlinie verpflichtet EU-Unternehmen zu einer regelmässigen Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäss den ESG-Kriterien (siehe Infobox). Damit müssen Unternehmen nun auch punkto Nachhaltigkeit die gleiche Transparenz bieten wie bei den Finanzen. Die Idee dahinter: Potenzielle Investorinnen und Investoren sollen besser vergleichen können, wie nachhaltig die Aktivitäten einer Firma sind. Diese hat damit einen klaren Anreiz, sich in den ESG-relevanten Themen zu verbessern.

Die CSRD gilt für jene Unternehmen mit Sitz in der EU, die an der Börse kotiert sind, sowie für jene, die im Minimum zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen: eine Bilanzsumme von mindestens 20 Millionen Euro, ein Nettoumsatz von mindestens 40 Millionen Euro und mindestens 500 Beschäftigte. Indirekt betreffen die CSRD-Vorgaben aber auch Firmen in der Schweiz. Weshalb das so ist, wer sich mit dem Thema beschäftigen sollte und wie man es am besten angeht, erklärt im nachfolgenden Interview Manfred Huber, Professor und Leiter des Instituts Digitales Bauen der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).

Manfred Huber Leiter Institut digitales Bauen FHNW.

Manfred Huber leitet das Institut für digitales Bauen an der FHNW. (Foto: FHNW)

Manfred Huber, welche Schweizer Unternehmen sind von der neuen ESG-Reportingpflicht der EU betroffen?

Sie betrifft zwei Arten von Firmen. Zum einen gilt die Reportingpflicht für Schweizer Filialen oder Units von Unternehmen mit Sitz in der EU. Auch wenn es sich dabei nur um eine Handvoll Mitarbeitende handelt, müssen sie die geforderten Daten erheben und an den Hauptsitz melden. Zum anderen betrifft das Ganze auch Eigentümerschaften und Verwaltungen von Immobilien, in denen EU-Unternehmen eingemietet sind.

Inwiefern?

Für ein ESG-Reporting werden bestimmte Daten und Kennzahlen verlangt. Die Angaben für die Bereiche Social und Governance dürften die meisten EU-Unternehmen selbst beschaffen können. Im Bereich Umwelt aber benötigen sie Zahlen, die ihnen der Liegenschaftsvermieter respektive die Verwaltung liefern muss. Relevant sind beispielsweise der Strom-, Wärme-, Kälte- und Wasserverbrauch sowie Informationen zu den damit verbundenen Treibhausgasemissionen.

Sind diese Daten heute bereits vorhanden?

Grundsätzlich wird der Energieverbrauch überall gemessen. Die Frage ist aber, wie genau sich die erhobenen Daten einem Mieter zuordnen lassen und wie regelmässig dies erfolgt. Wichtig ist aber auch die Frage, wie die Daten erhoben werden. In Papierform oder als PDF lassen sie sich nur aufwendig weiterverarbeiten, ein Excel-File ist im Vergleich dazu bereits ein Fortschritt. Es ist auf jeden Fall wichtig, gut funktionierende Schnittstellen zu definieren.

Werden für die ESG-Reportings auch Informationen verlangt, zu denen heute nicht standardmässig Daten erhoben werden?

Ja, durchaus. Der Papierverbrauch oder die Abfallmenge wird beispielsweise kaum je systematisch erfasst – weder vom Mieter noch vom Vermieter. Auch die Mobilität ist ein Bereich, in dem nicht standardmässig Daten erhoben oder Auswertungen gemacht werden. Und für eine Angabe zu den Treibhausgasemissionen müssen sowieso zuerst viele andere Daten gesammelt werden, ehe man sie berechnen kann.

Was bedeuten die neuen Regelungen für die Planung der Gebäudetechnik?

Die Informationsanforderungen bezüglich ESG müssen bei der Entwicklung des Messkonzepts geklärt und berücksichtigt werden. Aufbauend darauf sind Sensoren und Art der Informationsauswertung zu bestimmen. Eine Anpassung nach Abschluss des Bauprojekts kann aufwendig sein.

Welche Instrumente oder Hilfsmittel gibt es für Vermieter, die Daten erheben und ihren Mietern liefern müssen?

Es lohnt sich, die Daten soweit als möglich über das Gebäudeleitsystem zu erfassen. Wenn ein Immobilieneigentümer nicht über die nötige Expertise verfügt, ist die Beratung durch eine Fachperson sinnvoll. Ein wichtiger Punkt: Mieter möchten Rohdaten erhalten, die sie weiterverarbeiten können – und zwar digital. Die Weiterverarbeitung der Daten muss daher im Messkonzept ebenso mitgedacht werden wie die Erfassung.

Symbolbild Elektrofahrzeug

Auch die mit den Unternehmensaktivitäten verbundene Mobilität ist Teil der Reportingpflicht – beispielsweise der Strombedarf für das Aufladen von Elektrofahrzeugen. (Bild: Pixabay / Markus Distelrath)

Wie geht ein Schweizer Immobilienunternehmen mit EU-Mietern das Thema ESG-Reporting am besten an?

Bei bestehenden Liegenschaften empfehle ich, zuerst die betreffenden Mieter zu kontaktieren und das Thema mit ihnen zu besprechen. In einem zweiten Schritt sollen diese ihre Anforderungen melden: Welche Daten brauchen sie und in welcher Form? Anschliessend muss man diskutieren, welche dieser Daten man liefern kann und welche der Mieter selbst erheben muss – was zum Beispiel beim Papierverbrauch sinnvoll ist. Andere Themen wie der Abfall oder die Mobilität betreffen meist beide Parteien, sodass man sich einigen und für beide Seiten stimmige Lösungen finden muss.

Und bei Neubauten?

Dort ist es wichtig, das Thema aktiv und vorausschauend anzugehen. Ein ESG-Reporting kann aufgrund eines Mieterwechsels plötzlich aktuell werden. Wurde von Anfang an ein ESG-taugliches Messkonzept entwickelt, sind spätere Anpassungen meist einfach zu bewerkstelligen. Ohne eine solche Grundlage ist dies deutlich schwieriger.

Die ESG-Reportingpflicht tönt nach viel Mehraufwand für die betroffenen Firmen. Ergeben sich auch Chancen?

Davon bin ich überzeugt, ja. In erster Linie haben die Vorgaben der EU einen Sensibilisierungseffekt – die Firmen werden gezwungen, sich mit wichtigen Themen wie Energieverbrauch, Mitarbeiterzufriedenheit oder Umweltauswirkungen zu befassen. Durch die erhobenen Daten erkennt man aber auch, wo etwas optimiert werden kann. Das kann helfen, Prozesse zu optimieren und Kosten zu reduzieren. Langfristig profitiert ein Unternehmen also von der Reportingpflicht. Auch gesamtwirtschaftlich ist diese zu begrüssen, denn so entsteht ein Druck auf die Firmen, sich zu verbessern – sonst werden sie früher oder später keine Investitionen mehr erhalten.


Environment, Social, Governance (ESG)

ESG ist ein Regelwerk, um die Nachhaltigkeit einer Anlage oder eines Unternehmens zu beurteilen. Die drei Kriterien stehen für:

  • Environment (Umwelt): Wie wirken sich die Aktivitäten des Unternehmens auf die Umwelt aus? Dazugehörige Aspekte sind zum Beispiel Umweltverschmutzung, Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen.
  • Social (Soziales): Wie geht das Unternehmen mit gesellschaftlichen Aspekten wie der Arbeitssicherheit, dem Gesundheitsschutz oder der Diversity um? Relevant ist in diesem Zusammenhang auch das Thema gesellschaftliche Verantwortung bzw. Corporate Social Responsibility (CSR).
  • Governance (Unternehmensführung): Welche Werte und Grundsätze kennzeichnen die Führung des Unternehmens? Wichtig sind zum Beispiel Steuerungs- und Kontrollprozesse, konkret etwa Anreizsysteme zur Unterstützung der Nachhaltigkeitsziele.

Veranstaltung an der Swissbau 2024

Weshalb sind Nachhaltigkeitsberichte für die Finanzindustrie und die Politik relevant? Was wird von den Immobiliengesellschaften gefordert? Was sind die Forderungen an die Gebäudetechnik und wie kann sie den Nachhaltigkeitsbericht positiv beeinflussen? Diese Leitfragen beantworten Fachleute an der Keynote-Session zum Thema «ESG», die der Schweizerische Verein der Luft- und Wasserhygiene SVLW an der kommenden Swissbau organisiert. Die Veranstaltung findet am 17. Januar 2024 von 09:15 bis 10:30 Uhr statt. Das definitive Programm mit den Referierenden ist ab Herbst 2023 im Veranstaltungskalender zu finden.