Nachgefragt

«Lernen kann man nicht delegieren»

Im Gespräch thematisiert der Architekt Maurus Frei die Herausforderungen, die ihn aktuell beschäftigen, und skizziert seine Handlungsschwerpunkte für einen digitalisierten Bauzyklus in der Praxis. Das Resultat: vier Leitlinien für einen Planungs- und Bauprozess im Wandel.


Herr Frei, Sie haben bei maurusfrei Architekten den Planungsprozess in den letzten Jahren transformiert und setzen täglich digitale Werkzeuge ein. Hat sich das gelohnt?
Ich denke schon. Wir planen schon lange digital. Das erlaubt uns, die Qualität der eigenen Arbeit – sowie auch die Arbeit Dritter – zu verbessern, und es bietet uns neue Möglichkeiten in der Zusammenarbeit. Im digitalen Modell stellen wir – in Kombination mit dem immersive collaboration room von Inside Reality – sicher, dass alle vom selben sprechen. Klar, das verlangt natürlich auch viel Disziplin, zum Beispiel bei der Projektdefinition. Generell gilt es, Projektänderungen im Modell jeweils sauber anzupassen. Die grosse Herausforderung sehe ich darin, dass die leitende Generation von Architekten, Unternehmerinnen und Bauleitern meist keine Digital Natives sind. Die Mehrheit kennt und nutzt die neuen digitalen Möglichkeiten zu wenig.

Dann sehen Sie die nächste Generation als Hoffnungsträger für die Digitalisierung des Bauprozesses?
Noch immer ist es so, dass die Schulen ihren Fokus vor allem auf das Entwerfen legen und nicht auch auf das konkrete Umsetzen von Projekten. Auch entwerferisch bietet die Digitalisierung neue Möglichkeiten. Diese werden an den Schulen aber noch zu wenig berücksichtigt. In den letzten Jahren kamen einige gute Aus- und Weiterbildungsangebote auf, doch die fehlenden Praxismöglichkeiten hindern viele daran, ihr Wissen in praktische Erfahrung zu übersetzen. So wissen einige, wie man modelliert, aber nur wenige, wann und weshalb.

Was muss sich konkret verändern?
Ich denke, es ist eine Frage der Haltung. Bei vielen Nachwuchsarchitektinnen und -architekten beobachte ich heute eine geringe Bereitschaft, Probleme selbst zu lösen. Viele bringen die Erwartung mit, dass andere ihnen sagen, wie diese gelöst werden müssen und was zu tun ist. So lernt man nicht, mit den neuen Instrumenten in der Praxis umzugehen. Lernen kann man nicht delegieren. Dasselbe gilt für das Sammeln von Erfahrungen. Daher hat sich das Nachwuchsthema in den letzten Jahren nicht substanziell verbessert, sondern eher akzentuiert.

Und was ist nun zu tun?
Wir versuchen, unseren jungen Berufsleuten im Büro die Chancen zu ermöglichen, mit den Projekten zu wachsen. Dazu haben wir vier Leitlinien formuliert. Ich hoffe, wir können so einen Beitrag leisten. Aber eben: Unterstützung schont niemanden davor, seine eigenen Erfahrungen zu machen. Der Wille muss schon da sein.

Maurus Frei ist Dipl. Architekt ETH/SIA und hat 1996 das Büro maurusfrei Architekten gegründet. Das Architekturbüro beschäftigt 50 bis 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Standorten Chur und Zürich.


Vier Leitlinien von Maurus Frei für einen Planungs- und Bauprozess im Wandel

1. Am Anfang alle wichtigen Fragen stellen
Im Versuch, Leitlinien für einen guten Bau- und Planungsprozess zu skizzieren, stellt Maurus Frei die Zusammenarbeit mit allen beteiligten Akteurinnen und Akteuren und ein vorausschauendes Handeln in den Fokus. Bei der Entwicklung und Bestellung eines Gebäudes entsteht aus den unterschiedlichsten Bedürfnissen die Form. In diesem Prozess gilt es, alle Grundsatzfragen zu stellen und die Anforderungen des späteren Betriebs wirklich zu verstehen. Das Ziel der Planung ist, alle Fragen möglichst früh zu beantworten.

2. Nicht zu früh mit Modellieren beginnen

Als zweiter Faktor führt Maurus Frei den Zeitpunkt ins Feld, wann mit dem Modellieren eines Gebäudes begonnen wird: Vor dem Aufkommen digitaler Instrumente war klar, dass zuerst nachgedacht werden muss und erst dann konkret geplant wird. Mittlerweile ist es möglich, digital zu entwerfen und dann laufend zu korrigieren. Diese neuen Instrumente bieten zwar neue Chancen, man läuft aber Gefahr, zu schnell loszulegen. Das macht Gebäude nicht besser und lenkt eher von den zentralen Fragen ab (siehe Leitlinie 1).

3. Echter Problemlösungswille in allen Projektphasen
Die vorgegebenen und gewählten Rahmenbedingungen prägen die Planungsphase. Durch sie nimmt die Form des Gebäudes weiter Gestalt an. Die Themen, welche bearbeitet werden müssen, sind immer dieselben. Dennoch sind sie im Detail von Projekt zu Projekt anders – mit vielen komplexen Facetten. Maurus Frei bringt es so auf den Punkt: «Die Voraussetzungen, diesen Schritt zu meistern, ist der Wille, sich mit den Fragen im Detail auseinanderzusetzen und ein Problem lösen zu wollen.»

4. Den späteren Betrieb des Gebäudes in den Fokus stellen
Im Zuge der Bauphase liegt es Maurus Frei am Herzen, das Bauen künftig integriert zu betrachten und die Planung wie auch die Bauphase nicht mehr getrennt vom späteren Betrieb anzusehen. Entscheidend findet der Architekt, den späteren Betrieb konsequent in jeder Etappe zu berücksichtigen – als Voraussetzung für einen effizienten und gut abgestimmten Bauprozess. Nur so kann das Ziel eines nachhaltig nutzbaren Gebäudes erreicht werden, das langfristig Freude bereitet.